Festschrift

Ein persönlicher Rückblick auf den Wiederanfang in Chemnitz

 

 


I.

 

Im Oktober 1990, ich war gerade als Richter in Pension gegangen, erreichte mich aus Bonn die Anfrage, ob ich nicht daran interessiert sei, als „Vertrauensbevollmächtigter der Bundesregierung“ politisch hoch belastete Führungskräfte aus den von der Treuhandanstalt verwalteten Betrieben ‑ das war damals praktisch die gesamte DDR-Wirtschaft ‑ zu entfernen und sog. Seilschaften zu zerschlagen, gewissermaßen eine Art Überwachungsfunktion auszuüben. Die Aufgabe erschien mir so außergewöhnlich, dass ich zusagte.

 

Daß ich mich für den alten DDR‑Bezirk Karl‑Marx‑Stadt entschied, lag daran, daß ein enger Weilheimer Freund, Sepp Ammon, ebenfalls Mitglied unseres Vereins, etwa Zur gleichen Zeit in Hohenstein‑Ernstthal in ein Sanitär‑ und Heizungsunternehmen einstieg. Ich wollte halt „in der Fremde“ nicht ganz allein sein.

 

Daß ich bis 31.12.1995, also über 5 Jahre, in Chemnitz bleiben würde, ahnte ich damals allerdings nicht.

 

II.

 

Für die Entscheidung der Frage, ob jemand in seiner Leitungsfunktion belassen werden konnte oder nicht, waren folgende Gesichtspunkte maßgebend:

 

1)       Eine nominelle Belastung reicht in der Regel nicht aus (Ausnahme: MfS‑Tätigkeit). Hinzukommen muß ein Verhalten, das darauf schließen läßt, daß die betroffene Führungskraft dem alten Regime ergeben und ohne Rücksicht auf Recht oder Moral gedient hat.

 

2)      Grund für eine Ablösung kann auch sein, wenn Führungskräfte schwer belastete Dritte in Kenntnis ihrer Belastung in verantwortlichen Positionen weiterbeschäftigen (sog. Seilschaften).                7

 

3)      Als belastet sind ferner solche Führungskräfte anzusehen, die ihre Position der Partei und nicht ihrer Leistung zu verdanken hatten.

 

Natürlich waren die Entscheidungen, die nicht selten gegen harten Widerstand der Ökonomen in der Treuhandanstalt getroffen werden mußten, nicht immer einfach. Betrafen sie doch Menschenschicksale. Ich bin aber auch heute noch davon überzeugt, daß es damals richtig war, wenigstens die fanatischsten Anhänger der DDR und ihres planwirtschaftlichen Systems von der Marktwirtschaft fernzuhalten.

 

III.

 

1990 erschien mir Chemnitz, das ich bis dahin nicht kannte, trostlos, manchmal sogar etwas unheimlich. Nichts funktionierte. An allen Ecken und Enden waren die Folgen der DDR‑Mißwirtschaft zu spüren. Heute wollen das viele nicht mehr wahr haben. Aber es war so.

 

Gott sei Dank gingen die trostlosen Abende für mich schnell zu Ende. Immer mehr bayerische Beamte kamen. Auch ehemalige Richterkollegen aus München. Wie wir uns damals gefunden haben, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls haben wir uns gefunden. Und als Otto Daniel auftauchte, war es mit der Langeweile ohnehin vorbei. Was haben wir in den ersten Pionierjahren gemeinsam für schöne Stunden erlebt! Das „rote und rußige Chemnitz“ ist mir geradezu ans Herz gewachsen.

 

Die Wiederbelebung des alten Chemnitzer Bayernvereins von 1875 war dann nur noch eine Frage der Zeit.

 

 

Ulrich Bayer

Weilheim i. OB.

 

 

> Home

 

> Aktuelles

 

> Verein

 

> Vereinsleben

 

> Festschrift

 

> Links

 

> Gästebuch

 

> Impressum

Seiten 1-6

Seiten 7-13

Seiten 14-17

Seiten 18-20

Seiten 21-24

Seiten 25-26

Seiten 27-35

Seiten 36-37

Seiten 38-40

Seiten 41-42

Seiten 43-44

Seiten 45-48

Seiten 49-51

Seiten 52-54

Seite 55

Seiten 56-58

Seite 59