Festschrift

Textfeld: Beitrag des Justitiars zur Festschrift des Vereins der Bayern zu Chemnitz e.V. gegr. 1875
aus Anlaß des 125. Stiftungsfestes am 31.Mai 2000

Die guade oide Zeit


Gern denk i zruck an meine erstn zwoa Jahr in Chemnitz drent und i ko mi no ganz guat erinnern wia des herganga is, daß i am 3. Juni 1991 mit mein oidn Mercedes aufbrocha bin nach Chemnitz um die sächsische Justiz beim Aufbau „geordneter Verhältnisse“ zu unterstützen. So ummaran 20.April 1991 is´s gwen. Da hats  Telefon gleit bei mir in dera Schta zwo (1) und der Herr Vorzimmerbesitzer hat gsagt: „Einen Moment bitte, ich verbinde mit dem Herrn Generalstaatsanwalt“. Ja sakra, sakra hab i ma denkt und mir im Hirn no schnei dreimoi  Generalstaatsanwalt, Generalstaatsanwalt, Generalstaatsanwalt vorgsagt, weil i mi bei dem Wort oiweiamoi wieda vasprocha hab. Ich war auf das Äußerste gefaßt. Do hot er aa scho gsagt: „Hallo Herr Herrmann, Froschauer hier“. Sehr wohlwollend hat si des ogheat, des is net imma so gwen.  „Sie haben sich doch mal für die neuen Länder gemeldet, ist das noch aktuell? Wir bräuchten erfahrene Staatsanwälte in Chemnitz, wären Sie bereit?“ Auwehzwick, habama denkt, jetz weads hint heicha wia vorn. Und gsagt hab i: „Selbstverständlich, Herr Generalstaatsanwalt“.  So is des gwen.

Und na bin i hintegfahrn auf Chemnitz. A mords Verkehr is gwen und Stau über Stau. Siem (2) Stundn hab i braucht; und zwar ohne Einhaltung der Verkehrsregeln. Psychologisch bsundas befreiend wars oiwei, wennst an Robur mit Anhänga, der wo braunkohlenbeladen mit 6,34 km/h bergwärts gschlicha is, trotz doppelter Mittellinie schnupfa hast kenna. Na hast erstamoi wieda 3 km frei fahrn kenna bis zur nächstn Schlanga.

 Zmittag um oans war i na bein Pawel (3) drinnagsessn. Net alloa. Nebn mir ham no ghockt da Schindlers Hartl (4), da Strobofon (5), da Brusti (6) und da Mallon (7). “Also, meine Herrn”, hat da Pawel gsagt und nervös an sein Zwicka (8) rumdo, “ein büsschen spät sind Sie schon gekommen. Üch bitte mür nachhaltigste Strafrechtspflege aus.” Und so weiter und so weiter. Wiari aso rumgschaut hab, hab i ma eibuid, daß olle des gleiche denkt ham. Aba gfragt hab i de Nachbarn net. Und wos  i seiba denkt hab sog i net. 

De zwoa aus Würzburg hams na nach Zwickau do. Da hat ma na g´heat, daß de jede Nacht mit eanan Schiaßeisn Razzia gmacht ham. An Hartl hams zum Kapo vo de Gigantn (9) ernannt. I kannt eich natirle scho sagn, wo der sein Ruf als Wirtschftsfachmann herhat. Aba i duas net, weil der mi bis jetz aa net verratn hat. Da Strobofon und i san in Chemnitz bliem. Und i hab de politische Abteilung kriagt (10).  

Die “Abteilung” hatte zu dieser Zeit im Wesentlichen 3 Aufgaben:
SED Unrechtsverfolgung
Rehabilitierungsverfahren
Neuanzeigen.

Die SED Unrechtsverfahren bestanden ganz überwiegend aus solchen Vorgängen, bei denen die Staatssicherheit als Ermittlungsbehörde tätig geworden war, also Republikflucht, Beeinträchtigung staatlicher Organe, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Durch eine kluge Entscheidung waren die Akten, soweit sie bei der Stasi angefallen waren, gleich nach der Wende von den Gerichtsakten getrennt (11) worden. Meine Aufgabe bestand daher darin, diese Akten wieder zusammenzuführen. Als das nach etwa 3 Monaten zum Ende kam, erging die Weisung, daß die chemnitzer Vorfälle nicht von chemnitzer Staatsanwälten bearbeitet werden werden sollten. Alle Akten wurden daher an die Staatsanwaltschaft Leipzig abgegeben. Die schickten ihre nach Dresden und wir bekamen die dresdner Akten. Anfang 1992 hat man dann bei der Staatsanwaltschaft Dresden die Zentralstelle zur Verfolgung von SED Unrecht eingerichtet. Bis in den Spätsommer 1992 haben wir daher die Akten aus Leipzig wieder eingesammelt und nach Dresden geschickt. Außer einem Pilotverfahren hat sich daher in diesem Bereich an tatsächlicher Strafverfolgung kaum etwas abgespielt. Die Arbeit vermittelte aber einen tiefgreifenden Einblick in die politische Strafjustiz der DDR den ich aus den vielen hundert Akten bekam. Einzelheiten zu berichten würde den Rahmen dieser Erinnerungen  sprengen. Intrigen, Verläumdungen und eiskalte Taktik kamen zutage. Familientragödien und zielstrebige Existenzvernichtung waren immer wieder Akteninhalt. 

Tso, jetzt hab i aus Reschpeckt vor dera Materie des sachlichere Hochdeutsch gnumma. Mir hamma aba aa unser Gaudi ghabt. De laßt si leicht wieder bayerisch vazein. 

Mir warma ja lauter Singls in Chemnitz und vom Montag bis Freitag ohne trautes Heim. Da hamma dann in meiner Superwohnung jede Wocha am Mittwoch open house gschpuit (12). Da Hörnchen hat oiwei sein Fisch braten, der Verfasser gelegentlich moi a Gans und andere ham was anders kocht. Eingladen hamma meistens 4 Wessis und 4 Ossis und die Stimmung war oiwei guat und Bier war aa gnua da und die geistigen Mauern hamma abgrissn dass´s grag aso gschtaubt hat.

Des hat si natürlich aa im Dienst ausgewirkt. Obwohl zu dera Zeit die einheimischen KollegInnen (!!, guat, ha?) allemitaranand durch die Überprüfungsausschüsse miassn ham und an etla vo dene natürlich de Hosn voi ghabt ham, obs aa übernomma wean, hamma unsan Dienst sauba gschom, die Aktenordnung und die OrgStA (13) erst amoi schee vaschteckt und langsam in aller Solidarität mit dene übernommenen Kollegen und oiwei mehra Wossis (14) de “geordneten Verhältnisse”  wieder aufgricht. Des war menschlich grad a so wia dienstlich a guate und sehr effizinte Zeit. Nur der Dienstweg hat wegen schrecklicher Verletzungen öfters amoi ambulant, dreimoi sogar stationär behandelt werden müssen. Wennst was braucht hast, hast hoit scho amoi glei an Staatssekretär oda an Ministerialrat ogruaffa und in unglaublich kurzer Zeit hat si was draat. Da hat si koana groß aufgregt, weist eh an jedn kennt hast. 

Aba nachan hat irgend so a Unglückswurm (15) den Dienstweg wieder zu bester Gesundheit gepflegt und die Aktenordnung und die OrgStA hams aa wieda ausgrabn. 

Da wars dahi, de guate oide Zeit.

Na hab i mi na hoit wieda gschlicha zum Gricht. Und da bin i heit no. 

Wei des mitn open house si mit da Zeit aa erledigt hat,  bin i na öfters ins Rosarium und hab miterlebt, wie unser schöner Bayernverein wieder aufgricht worn is.

Dem Vereine wünsch jetz ein kräftiges Vivat, crescat, floreat und unserem prächtigen Präsidenten ein ebensolches 3-fach Hoch!

Hans Joachim Herrmann
Justitiar des Bayernverein




(1) Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München II
(2) 7
(3) Herr Leitender Oberstaatsanwalt Pawlowski
(4) StAGl Hartmut Schindler nunmehr Leitender Oberstaatsanwalt in Bautzen
(5) StAGl Strobel, der hat scho amoi des Mikrofon vom Diktierdings gnomma, wenns Telefon glait hat
(6) StAGl Brustmann aus Würzburg
(7) StA Mallon aus Würzburg
(8) Augenglasl ohne Bügel
(9)Leiter Abt III StA Chemnitz, Zentrale Wirtschaftsabteilung für ganz Sachsen
(10) Abteilung war guat gsagt: de meiste Zeit war i Gruppenleiter und der Hörnchen (Staatsanwalt Schepping aus Würzburg) war meine Gruppe
(11) Nach der Strafprozeßordnung und dem wichtigsten Werk für Bürokraten, der Aktenordnung, sind die Akten fortlaufend von der Strafanzeige zum Urteil führen
(12) Selbstgefertigtes Festessen
(13) Anordnung über die Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften (bundeseinheitlich)
(14) Berufsanfänger aus den gebrauchten Ländern (Gegensatz zu den Neuen Ländern)
(15) Des kon eigentlich nur a Preiß gwen sei


 

 

 

 

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